In verwürmten Tiefen

Im Original: The Kraken – aus: Poems, Chiefly Lyrical (1830) – von Alfred, Lord Tennyson

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Unter Groll und Donner tiefer Flutentracht;
Weit darunter! In dem abgrundtiefen Meere,
Traumlos, unberührt, in ewig während Nacht
Schläft der Kraken: Um ihn völlig lichterleere,
Finstre Schattenwelt; darüber üppig schwillt
Ein Morast, seit tausend Jahren aufgehäuft;
Weit hinaus! In jämmerliches Licht verläuft,
Wundersamen Höhlen insgeheim entquillt
Wirres Werk aus ungeheuren Wucherungen,
Die mit Riesenarmen grüne Schwaden stricken.
Seit Äonen liegt er da, und seine Zungen
Laben sich an Seegewürm – Indes er ruht,
Bis die Tiefen brodeln in der letzten Glut;
Und dann wird er unter Mensch und Engels Blicken
Dröhnend sich erheben und vom letzten Tag verschlungen.

Der Hochzeitsgast

Im Original: The Rime of the Ancient Mariner (1834 version) – Teil I – von Samuel Taylor Coleridge

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Ein alter Seemann tritt hervor,
Stoppt Einen von drei Mann.
“Welch rauschend’ Bart! Welch strahlend’ Blick!
Wieso hältst Du mich an?

“Der Bräutigam lud zum Empfang,
Ich bin von gleichem Blut;
Ein jeder Gast ein Herz sich fasst:
Hört nur die Stimmenflut.”

Mit dürrer Hand hält er ihn fest
Und spricht: “Es gab ein Schiff.”
“Nimm weg die Hand, Du alter Narr!”
Schon löst er seinen Griff.

Drauf hält er ihn mit seinem Blick –
Der Hochzeitsgast wird still
Und lauscht wie ein dreijähriges Kind:
So wie der Greis es will.

Der Hochzeitsgast hat sich gesetzt:
Denn mehr fiel ihm nicht ein;
So spricht er fort, der alte Mann,
In strahlend’ Augen Schein: –

“Der Hafen weit, voll Heiterkeit,
Wir liefen fröhlich aus,
Vorbei am Kirchturm und am Berg,
Vorbei am Leuchtturmhaus.

“Zur Linken ging die Sonne auf,
Stieg aus dem Meer empor!
Schien hell voran, zur Rechten dann
Sich wieder im Meer verlor.

“Höher und höher, jeden Tag,
Bis über den Mast hinauf” –
Der Hochzeitsgast ein Herz sich fasst,
Denn ein Fagott spielt auf.

Die Braut kommt in den Saal herein,
Ganz rot und rosenhaft;
Und vor ihr schreitet munter her
Die fröhliche Gauklerschaft.

Der Hochzeitsgast ein Herz sich fasst,
Doch mehr fällt ihm nicht ein;
So spricht er fort, der alte Mann,
In strahlend’ Augen Schein: –

“Dann kam der Seesturm über uns:
Erbarmungslos und hart
Schlug er mit seinen Schwingen zu;
Nach Süden ging die Fahrt.

“Den Bug gesenkt, die Masten schief,
Das Schiff wie ein Verfolgter tief
Im Schatten des Verfolgers lief,
Den Kopf hervorgeragt.
Die Fahrt war schnell, der Donner grell;
Aye, wurden wir gejagt!

“Nach Dunst kam Schnee, dann ward das Schiff
Von klirrend’ Frost gepackt;
Ein Eisbergwald umgab uns bald,
So grün wie ein Smaragd.

“Und durch das Spiel der Brocken fiel
Auf uns ein düsterer Schein:
Nicht Mensch noch Tier, nichts lebte hier –
Das Eis war ganz allein.

“Das Eis war hier, das Eis war dort,
Das Eis war überall:
Es grollte und brach, es heulte und stach;
Betäubender Krawall!

“Die Luft durchschoss ein Albatross:
Aus Dunst er sich erhob;
Als wäre er ein Christenkind,
So priesen wir ihn lob.

“Er teilte Speis’ und Trank mit uns,
Flog stetig um uns her.
Das Eis zersprang mit Donnerklang;
Die Durchfahrt wahr nicht schwer!

“Ein Südwind kam von achtern auf;
Das Tier uns nicht verlor.
Er täglich drang, zu Speis’ und Gesang,
In die Kajüten vor!

“Bei Wetter und Wind, ins Wantengebind’
Zog er neun Abende ein;
Und durch die Nacht, durch Nebeltracht,
Schien strahlend’ Mondenschein.”

“Gott schütze Dich, Du Mann der See,
Vor Allem, was Dir droht!
Was zehrt an Dir?” – “Das arme Tier;
Ich schoss den Vogel tot.