Von süßer Pracht und endlos’ Nacht

Im Original: Auguries of Innocence – aus: The Pickering Manuscript (1807) – von William Blake

– mithilfe von Shmoop’s Study Guide aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Wer sieht im Sandkorn eine Welt,
In Wiesenblüte Himmelskleid,
Unendlichkeit in Händen hält,
Und Stunden werden Ewigkeit.
Ein Kehlchen Rot im Käfig haust,
D’rauf aller Himmel Zorn erbraust.
Wenn Taubenschläge überfüllt,
Ein jeder Höllenkreis erbrüllt.
Ein Hund, verhungert vor dem Tor,
Ruft Untergang im Staat hervor.
Wird unterwegs ein Pferd gequält,
An Menschenblut ’s dem Himmel fehlt.
Gejagten Hases jeder Schrei
Reißt einen Strang im Hirn entzwei.
Ein Lerchenflügel, der verletzt,
Dem Cherub den Gesang aussetzt.
Am Hahn, gestutzt, zum Kampf geschickt,
Die Morgensonne sich erschrickt.
Mit jeden Wolfs & Löw’s Geheul’
Erhebt sich Höllenseele neu.
Das Rotwild, das sich frei bewegt,
Den Menschenseelen Last entlegt.
Gequältes Lamm reizt öffentlich
Und doch vergibt des Schlachters Stich.
Spätabends fliegt die Fledermaus
Dem ungläubigen Hirne aus.
Der Ruf der Eule in die Nacht
Des Ungläubigen Furcht entfacht.
Wer kleines Sperlings Schmerzen schürt,
Soll nie erfahren Menschenwürd’.
Wer je den Ochs’ zum Zorn hintrieb,
Soll nie von einer Frau geliebt.
Den Jungen, der die Fliege quetscht,
Fortan die Spinne feindlich hetzt.
Wer eines Käfers Seele raubt,
In ewig’ Nacht sich eingelaubt.
Die Raupe auf dem Apfelblatt
Erinnert Dich der Sündentat.
Töt’ Schmetterling noch Motte nicht;
Es stetig naht das Endgericht.
Wer richtet ab zum Krieg das Pferd,
Der nie durch Jenseitspforten fährt.
Der Witwe Katz’ & Bettlers Hund:
Ernähr’ sie & auch Du wirst rund.
Es wird der Mücke Sommersang
Vergiftet durch Verleumdungsdrang.
Der Schlange & des Molches Gift
Dem Schweiß der Missgunst Fuß entspricht.
Das Gift der Honigbiene mehrt
Der Künstler, der am Neid sich nährt.
Sowohl des Prinz’ & Bettlers Kleid
Als Giftpilz auf dem Geiz gedeiht.
Wer bösen Willens Wahrheit sagt,
Der alle Lügen überragt.
So ist es & so war’s erdacht:
Der Mensch für Freud’ & Leid gemacht;
Und wenn dies’ Einsicht uns erwacht,
Geborgenheit der Welt uns lacht.
Verwebt sind Freud’ & Leid so fein
Zum Seelenkleid, das hüllt uns ein,
Dass unter Gram & jeder Pein
Ein seid’nes Garn der Freude scheint.
Nicht bloß die Windel prägt das Kind;
In jedem Menschenland entspringt
Dem Fleiß das Werkzeug, Hände sind
Gebor’n; und jeder weiß: Es stimmt.
Ein jeden Auges Träne steigt
Empor zum Kind der Ewigkeit.
Im Schutz der Schicksalsdamen Glanz
Beginnt es seinen Freudentanz.
Gebell, Gebrüll, gejauchzt, geplagt,
Ist Himmelsufers Wellenschlag.
Das Kind, das vor der Rute weint,
Mit Rache nach dem Tod sich eint.
Wenn Bettlerskluft im Winde weht,
Der Himmel selbst in Fetzen steht.
Mit Schuss & Schwerthieb der Soldat
Die Sonne trifft, in die er starrt.
Des Armen Grosch’ hat höh’res Maß
Denn alles Golde Afrikas.
Mit Scherflein aus des Löhners Hand
Soll zahlbar sein der Geiz’gen Land;
Und wenn von oben unterstützt,
Dem ganzen Staatsgeschäft es nützt.
Wer Kindes Glauben nur verhöhnt,
Sich nie mit Zeit & Tod versöhnt.
Wer Zweifel sät in Kindes Geist,
Im Grabe ewig rottend kreist.
Wer Kindes Glauben jedoch schätzt,
Der Tod & Hölle gar versetzt.
Der Jugend Spiel & Alters Rat
Als Lebensfrüchte sind gepaart.
Dem, der nur listig Fragen stellt,
Sich keine Antwort zugesellt.
Wer Zweiflern dennoch Antwort gibt,
Der Weisheit jedes Licht entzieht.
Das stärkste Gift, das je bekannt,
Des Cäsars Lorbeerkranz entstammt.
Es kann die Menschheit nichts entstell’n
Wie einer Rüstung eisern’ Schell’n.
Ein Pflug aus Gold & Diamant
Beschert der Missgunst Kunstverstand.
Nur Rätseln oder Grillenschrei’n
Vermag des Zweifelns Antwort sein.
Von Ameis’ Blick & Adlers Sicht
Der Philosoph verlegen spricht.
Wer nur bezweifelt eig’nen Blick,
Dem fehlt zum Glauben das Geschick.
Falls Zweifel Sonn’ & Mond erwischt,
Ihr beider Licht sofort erlischt.
Mit Leidenschaft man Gutes tut,
Solang’ sie trotzt dem Übermut.
Der Staat, der Spiel & Hurerei
Gewährt, ruft sich sein Los herbei.
Der Dirnen Schrei durch Straßen schwebt
Und Englands Leichentücher webt.
Gewinnerrausch, Verliererfrust
Sind Englands Leichenwagens Lust.
In jeder Nacht & jeder Früh
Erblickt der Mensch das Elend; wie
In jeder Früh & jeder Nacht
Der Mensch erblickt die süße Pracht.
Wie Einige die süße Pracht,
Trifft Andere die endlos’ Nacht.
Der Lügenglaube uns verschlingt,
Wenn Sicht die Augen nicht durchdringt,
Die nachts entsteh’n & nachts vergeh’n,
Da Seelen nur das Licht versteh’n;
Und Gott erscheint & Licht erwacht
Den armen Seel’n der endlos’ Nacht
Und gar als Mensch all’ Die empfängt,
Die es ins Reich des Tages drängt.

Eine unheilvolle Brise

Im Original: “Song of the North Wind” – von Winifred Virginia Jordan – aus: The Conservative, Vol. I, No. IV (1916)

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Woher ich kam, wo einst ich schlief:
Geheim auf Ewigkeit,
Ob Himmelshöhe, Höllentief,
Ich mehre Euer Leid;
Doch kündet Ihr mich herrschaftlich –
Im Leuchtraketenschein –
Mit sanfter Brise künde ich:
Bald breche ich herein.

Geboren ward ich vor der Welt,
Alt, als sie mich empfang,
Ein Fremdling, aus dem All bestellt,
Mein Schrei war erster Sang:
Alt war ich, als Gedankenkraft
Aus Feuer ward befreit;
Mein eisig’ Hauch hat Land geschafft,
Als Spiel in leblos’ Zeit.

Als schwach sich Leben ihm entwand,
Hielt ich den Atem flach,
Und Berg und Fluss und Mensch entstand,
In Todes Brust erwacht;
Gen Erde fuhr’n mir aus der Haut
Der Wechselbälger drei:
Das Lustblut meiner lieblich’ Braut
Durchfließt sie maßlos, frei.

Der Nordstern ist mein Leuchtsignal,
Ich bin der Arktis Fürst,
Mein Atem wirbelt infernal,
Ich sing’ – der Berg zerbirst;
Endloser Ruhm mich lächelnd reizt
Und Segel eisern’ Schiffs;
Ich zürne, bis der Rumpf sich spreizt
Und quetscht in meinem Griff.

Verwüste gern fruchtbares Land
Schlag’ auf die Blüten ein,
Verderb’ die Ernte kurzerhand,
Ersticke sie im Keim;
Den Bäumen stehl’ ich Blatt und Ast,
Egal, wie ich geneigt,
Verderbnis werf’ mit größter Hast
Ich tausend Meilen weit.

Ich giere tobend nach dem Meer,
Ich stürme es mit Braus,
Auf Felsen streu’ ich Wracks umher,
Lass’ keine Küste aus;
Ich reiß’ am Deck und wirbel’ mich,
Sie schlagen Luken zu,
Erst spotte und dann labe ich –
Sie finden ewig’ Ruh’.

Woher ich kam, wo einst ich schlief:
Geheim auf Ewigkeit,
Ob Himmelshöhe, Höllentief,
Ich mehre Euer Leid;
Doch kündet Ihr mich herrschaftlich –
Im Leuchtraketenschein –
Mit sanfter Brise künde ich:
Bald breche ich herein.

Von wolkenspät bis winterfrüh

Im Original: A Sunset & The Cloud-Islands & The Snow-Blossoms – aus: The Star-Treader and Other Poems (1912) – von Clark Ashton Smith

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Wie Blut aus ungeheu’rem Leid
Entsprang das Abendrot;
Darüber, wie ein Fledderkleid,
Der Sturmwind eifrig tobt.


Welch Wunderinseln bieten sich
Dem Abendrot als Zierde dar –
In Safransee Opale nicht
So schön erleuchten, und so klar;
Wie Hesperiden im Gedicht!

Welch wechselmagisch’ Farbenpracht
Tönt herrlich Berge und den Strand!
Welch goldblau’ Lebensstrahl entfacht
Die Täler, die zur See gewandt!
Welch amethysten’ Gipfelwacht!

Geborgen in geschwung’nem Land,
Das weit hinaus ins Meer gereicht,
Steht eine Stadt von Elfenhand
Erbaut auf hochgewund’nem Deich,
Der feurig strahlt durch schimmernd’ Sand.

Aus Abendglut der Mauern Form;
Die Kuppeln regenbogenhaft;
Und jeden hochgewachs’nen Turm
Ein gold’ner Mondlichtstrahl erschafft;
Opalbrunst jeden Saal gebor’n.

Doch ach! wie schnell der Glanz vergeht!
Wie Schleier allen Traum verzehr’n!
Wie Trübsal durch die Inseln weht,
Wenn Wolken zieh’n ins Sternenmeer,
Das jedes Tageslicht verschmäht.


Spätgestern noch die Winterbäume
Laublos, schwarz gefleckt,
Voll Wehmut Zweige und Geäst
Ins Abendrot gestreckt.

Im blütenweißen Morgengrauen,
Seinem blassen Glanz,
Bekleidet jeden kargen Baum
Ein schneegeblümter Kranz.

Die Gunst der Nacht

Im Original: “Benediction” – von Andrew Francis Lockhart – aus: The Conservative, Vol. II, No. I (1916)

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Versunkener Sonne verweilendes Licht
Taucht die gräulichen Hügel in goldenen Schein;
In der Abendstund’ perlenversehrtes Gesicht
Schwingt ein Seetaucher sich unbehelligt hinein.

Tiefe Schatten umgarnen behüteten Teich,
Und der Sumpf liegt verborgen in Schleiern aus Dunst,
Welcher aufsteigt und fällt über Wildgräsern weich,
Phantomsegeln gleichend, in schwebender Gunst.

Ein strahlender Stern klärt die Falten der Nacht;
Durch verwachsenes Dickicht am Teichuferrand
Drängt ein flackerndes Leuchten von purpurner Pracht,
Von entlegener Hüttentür vorwärts gesandt.

Der Tag ist vorüber, und über die Welt
Bricht sanft eine sinnliche Stille herein,
Jedes Menschenkind streichelnder Frieden befällt,
So in Bauerngehöft wie in Edelmanns Heim.

Versunken in Carcosa

Im Original: Cassilda’s Song – aus: The King in Yellow (1895) – von Robert W. Chambers

 – aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Mit Wolkenwall das Ufer ringt,
Der Zwiestern hinterm See versinkt:
Gestreckte Schatten
In Carcosa.

In Schwarzgestirn die Nacht sich hüllt,
Mit Mondtanz sich der Himmel füllt,
Noch wundersamer
Ist Carcosa.

Hyadenlieder, noch so schön,
Dort wo des Königs Lumpen weh’n,
Verstummen sie in
Trüb’ Carcosa.

Lied meiner Seele, stimmentot,
Verende unter Tränennot,
Versunken seist Du
In Carcosa.

Wir singen Lovecraft

Die Miskatonic-Universität

Heute haben wir ein kleines Schmankerl für Euch! Einer unserer Übersetzer*Innen, Stefan Zimmermann hat für Euch das wunderbare Trinklied aus HPL’s Geschichte “Das Grab” übersetzt. Vielen Dank an Stefan und viel Spaß Euch mit diesem feuchtfröhlichen Stück Lyrik.

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Schlafes Schinder

Im Original: “Insomnia” – von Winifred Virginia Jordan – aus: The Conservative, Vol. II, No. III (1916)

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Ich bin, was in die Nacht einbricht,
Des Schlafes Flügel schert;
Ich bin, was tief durchs Tageslicht
Mit Hexenstichen fährt;
Ich bin, was mit Tranchierbesteck
Das müde Hirn traktiert
Und knurrt, wenn sich Vergnügen reckt
In meinem Schmerzrevier.

Ich lache gern: Haha! Hoho!
Wenn Stille liegt im Haus;
Ich zeche gern: Haha! Hoho!
Wenn Schäfchen schwärmen aus!
Mein Sklavenheer zählt hundertfach,
Bis Schatten Augen sticht!
Der Schäfchen Sprung zehntausendfach:
Auf dass die Zählung bricht!

Ihr Loblied ist ein Trauerzug,
Geschmückt mit Blumenkranz;
Sie tragen weißen Überzug,
Umringt von Schaulusttanz.
Sie wandeln über Angst und Glut,
Beengt in Schlafquartier’n;
Ihr Geist verflucht mit Schamesflut:
Gebet kann nur verlier’n.

Und dann greif ich zur List erneut,
Die mich mit Gold befleckt;
Ich werfe Hungersduft wie Streu
Auf blütenweiß’ Gedeck!
Erinnerung, die mir entsagt,
Die treib’ ich vor mir her,
Bis ihre Sphäre überragt
Ihr hassgetränktes Wehr.

Ein jeder Sklave lacht, „Haha!“
Und zählt die Schäfchen durch
Und klagt der Zahlen im Traktat
Durch Nacht, durch Tag, durch Furcht;
Es fleht um Ruh’ ein zitternd’ Mund,
Das Herz am Kreuze weht,
Bis wer sich traut, all’ Qual tut kund
Und Sterben wild erfleht!

ICH BIN, WAS IN DIE NACHT EINBRICHT,
DES SCHLAFES FLÜGEL SCHERT;
ICH BIN, WAS TIEF DURCHS TAGESLICHT
MIT HEXENSTICHEN FÄHRT;
ICH BIN, WAS MIT TRANCHIERBESTECK
DAS MÜDE HIRN TRAKTIERT
UND KNURRT, WENN SICH VERGNÜGEN RECKT
IN MEINEM SCHMERZREVIER.

Also sprach der Polarstern

Ein Auszug aus: Polaris (1918) – von H. P. Lovecraft

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Schlumm’re, Wächter, bis die Sphären
Sechsundzwanzigtausendmal sich jähren
Und ich mich zurückbemühe
Zu dem Punkt, an dem ich jetzt noch glühe.
And’re Sterne werden steigen,
Vor der Himmelsachse sich verneigen;
Sterne voller Trost und Segen
Dir ein süß’ Vergessen auferlegen:
Erst wenn meine Bahn vollendet,
Die Vergangenheit sich Dir zuwendet.


Mit Polaris begann H. P. Lovecraft seine literarischen Reisen in die Traumlande –

Die Traumlande sind eine der tragenden Säulen von Lovecrafts Mythos, der neben Großen Alten, Sternengezücht und Tiefen Wesen mit jedem nur erdenklichem, kosmischem Horror aufwartet – im Diesseits als auch jenseits von Raum und Zeit – und dabei auf erstaunlichem Sprachniveau die Unbegreiflichkeit der wahren Mächte dieses phantastischen Weltenraumes in wiederum nicht gänzlich begreiflichen, dafür umso fesselnderen Worten zum berauschenden Ausdruck bringt … Getragen von einem Wortreichtum, der bis heute Seinesgleichen sucht –


Der Titanenanteil kosmischer Mythos-Erkenntnis liegt gepaart mit endlosem Entsetzen hinter dem Schleier des scheinbaren Seins –

Wer innerhalb von Lovecrafts Geschichten einmal auch nur kurzzeitig hinter den Schleier blickt, tritt unausweichlich eine phantastische Reise des Schreckens, aber auch der unheimlichen Begierde und Begeisterung an; von der sich in der Regel nichts berichten lassen wird, denn ihre Endstation ist meist entweder Wahnsinn oder Tod oder Selbstmord infolge seelischer Überforderung … So ergeht es vielen menschlichen Protagonisten in Lovecrafts Mythos-Werk: Der Weg des Unaussprechlichen ist das Ziel! Da geht es dem Wächter im Wachtturm von Thapnen nahe Olathoë – der nicht mehr weiß, welche Welt und aus welcher Welt heraus er träumt – vorerst noch verhältnismäßig gut … Denn seine fortgeschrittene Reise wird für die nächsten 26’000 Jahre unter dem zynischen Schutz des Polarsterns und der Vertretersterne, die während seines astronomischen Zyklus seinen Platz einnehmen, zumindest erst einmal ausgesetzt –


Schlüsselszenen sind in Lovecrafts Geschichten nicht selten gereimt –

Lovecrafts Verse sind meist in jambischem Versmaß gehalten; dem Klassiker englischer Dichtung schlechthin seit der frühen Neuzeit … Die traumhafte (Ein-)Rede des Polarsterns ist zur Abwechslung ein regelmäßiger, vierfüßiger Trochäus; dessen Katalexe  – also verkürzter vierter Fuß – mir ermöglichte, die Metrik für die Übersetzung nur geringfügig zu verlängern: Nur jeder zweiten Zeile eines gereimten Zeilenpaares brauchte ich einen zusätzlichen Fuß zu verleihen, um die begrifflich sehr nah am Original liegenden, deutschen Worte mit ihrer gegenüber dem Englischen höheren Silbenzahl dem nun akatalektischen Trochäus einzuschmiegen –


Im Jahre 1918, mit 28 Jahren, war Lovecrafts Jugendwelt endgültig entzaubert –

Seine enorme Unzufriedenheit mit sich selbst, mit der Gesellschaft und dem Weltgeschehen wandelte sich zur entscheidenden Triebkraft seiner weiteren Schriftstellerkarriere … Im Jahr zuvor erschuf Lovecraft mit Dagon seine erste, von der gleichnamigen Gottheit des Alten Orients abgeleitete, Mythos-Kreatur; und er hatte bereits drei Jahre zuvor mit der Herausgabe seiner eigenen Zeitschrift “The Conservative” begonnen, in der sich Literatur- und Gesellschaftskritik mit Satire und phantastischer Poesie von ihm und befreundeten Autorinnen und Autoren zu einem Meilenstein des Amateurjournalismus vereinten … In dem neben Lovecraft selbst vor allem seine Freundin Winifred V. Jackson als meiner Meinung nach noch phantastischere Dichterin glänzte; und dessen Struktur kaum von der eines heutigen Blogs zu unterscheiden ist –


Trotz aller Begeisterung für Lovecraft störe ich mich jedoch an diesen gewissen Stellen –

Ja … Diese Stellen in Lovecrafts Schriften, an denen jenes, in vielen Gesellschaften seiner Zeit so weit verbreitetes, rassistisch-xenophobische Gedankengut wie nimmerversteinernder Kaugummi klebt … Ich finde es wichtig, dies immer wieder zu erwähnen und im Hinterkopf zu behalten, wenn man sich mit Lovecraft befasst; und mindestens genauso wichtig ist mir, keinen Liebhaber von Lovecrafts Werken deswegen vor eine Gretchenfrage zu stellen –


Trotz dieser störenden Stellen in Lovecrafts Schaffen überwiegt in mir eindeutig die Begeisterung für sein phantastisches Gesamtwerk –

Weder vermögen meiner Meinung nach seine fragwürdigen Fragmente heutzutage Irgendjemanden zum Schlechten bekehren, noch ist mir irgendein Fall bekannt, in dem sich eine fremdenfeindliche Bewegung der heutigen Zeit in ihrem kruden Gedankengut auf Lovecraft oder gar seinen Mythos beruft … Bekannt ist mir nur, dass Lovecrafts literarische Welten die wohl größte Inspiration für phantastischen Horror in Gegenwartsliteratur, -film und -fernsehen, bildenden Künsten und Brett-, Computer- und Rollenspielen war, ist und bleibt; und dass ich vor allem über Franz Kafka, H. P. Lovecraft und Hunter S. Thompson letztendlich zu meiner eigenen literarischen Stimme fand …

– ß


Cthulhu emp/be- 😉 fiehlt zur eigenen Meinungsbildung über H. P. Lovecraft: