Der Sterne Überschwang

Im Original: The Star-Treader (1912) – Teil I – von Clark Ashton Smith

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Eine Stimme schrie zum Anbeginn der Träume,
Sprach: „Beeil’ Dich: das Geweb’ aus Tod und Leben
Ist hinfortgefegt, und jede Erdenstrebe
Bricht entzwei; es schimmern in die Räume
Deine altbewährten Sternenpfade,
Deren Flammen in Dir glühen;
Tiefe, unveränderliche Gründe ziehen
Voll der Dunkelschwaden
Sich durch alle Deine Phantasien.
Schreite unversehrt voran ins Glänzen
Jener Sterne, die Du lange Zeit schon kennst; und
Dringe furchtlos in die Weiten,
Die Dich nie verschlangen in vergang’nen Zeiten.
Eine Hand wird deren Ketten sprengen,
Dir die Pforten durch die Jahre weisen;
Bindungen aus Erdenglück und Tränen reißen,
Und Dein Traum eröffnet sich den Überschwängen“

Eine unheilvolle Brise

Im Original: “Song of the North Wind” – von Winifred Virginia Jordan – aus: The Conservative, Vol. I, No. IV (1916)

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Woher ich kam, wo einst ich schlief:
Geheim auf Ewigkeit,
Ob Himmelshöhe, Höllentief,
Ich mehre Euer Leid;
Doch kündet Ihr mich herrschaftlich –
Im Leuchtraketenschein –
Mit sanfter Brise künde ich:
Bald breche ich herein.

Geboren ward ich vor der Welt,
Alt, als sie mich empfang,
Ein Fremdling, aus dem All bestellt,
Mein Schrei war erster Sang:
Alt war ich, als Gedankenkraft
Aus Feuer ward befreit;
Mein eisig’ Hauch hat Land geschafft,
Als Spiel in leblos’ Zeit.

Als schwach sich Leben ihm entwand,
Hielt ich den Atem flach,
Und Berg und Fluss und Mensch entstand,
In Todes Brust erwacht;
Gen Erde fuhr’n mir aus der Haut
Der Wechselbälger drei:
Das Lustblut meiner lieblich’ Braut
Durchfließt sie maßlos, frei.

Der Nordstern ist mein Leuchtsignal,
Ich bin der Arktis Fürst,
Mein Atem wirbelt infernal,
Ich sing’ – der Berg zerbirst;
Endloser Ruhm mich lächelnd reizt
Und Segel eisern’ Schiffs;
Ich zürne, bis der Rumpf sich spreizt
Und quetscht in meinem Griff.

Verwüste gern fruchtbares Land
Schlag’ auf die Blüten ein,
Verderb’ die Ernte kurzerhand,
Ersticke sie im Keim;
Den Bäumen stehl’ ich Blatt und Ast,
Egal, wie ich geneigt,
Verderbnis werf’ mit größter Hast
Ich tausend Meilen weit.

Ich giere tobend nach dem Meer,
Ich stürme es mit Braus,
Auf Felsen streu’ ich Wracks umher,
Lass’ keine Küste aus;
Ich reiß’ am Deck und wirbel’ mich,
Sie schlagen Luken zu,
Erst spotte und dann labe ich –
Sie finden ewig’ Ruh’.

Woher ich kam, wo einst ich schlief:
Geheim auf Ewigkeit,
Ob Himmelshöhe, Höllentief,
Ich mehre Euer Leid;
Doch kündet Ihr mich herrschaftlich –
Im Leuchtraketenschein –
Mit sanfter Brise künde ich:
Bald breche ich herein.

Von wolkenspät bis winterfrüh

Im Original: A Sunset & The Cloud-Islands & The Snow-Blossoms – aus: The Star-Treader and Other Poems (1912) – von Clark Ashton Smith

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Wie Blut aus ungeheu’rem Leid
Entsprang das Abendrot;
Darüber, wie ein Fledderkleid,
Der Sturmwind eifrig tobt.


Welch Wunderinseln bieten sich
Dem Abendrot als Zierde dar –
In Safransee Opale nicht
So schön erleuchten, und so klar;
Wie Hesperiden im Gedicht!

Welch wechselmagisch’ Farbenpracht
Tönt herrlich Berge und den Strand!
Welch goldblau’ Lebensstrahl entfacht
Die Täler, die zur See gewandt!
Welch amethysten’ Gipfelwacht!

Geborgen in geschwung’nem Land,
Das weit hinaus ins Meer gereicht,
Steht eine Stadt von Elfenhand
Erbaut auf hochgewund’nem Deich,
Der feurig strahlt durch schimmernd’ Sand.

Aus Abendglut der Mauern Form;
Die Kuppeln regenbogenhaft;
Und jeden hochgewachs’nen Turm
Ein gold’ner Mondlichtstrahl erschafft;
Opalbrunst jeden Saal gebor’n.

Doch ach! wie schnell der Glanz vergeht!
Wie Schleier allen Traum verzehr’n!
Wie Trübsal durch die Inseln weht,
Wenn Wolken zieh’n ins Sternenmeer,
Das jedes Tageslicht verschmäht.


Spätgestern noch die Winterbäume
Laublos, schwarz gefleckt,
Voll Wehmut Zweige und Geäst
Ins Abendrot gestreckt.

Im blütenweißen Morgengrauen,
Seinem blassen Glanz,
Bekleidet jeden kargen Baum
Ein schneegeblümter Kranz.

Am Ende der Zypressen

Im Original: To — — —. Ulalume: A Ballad (1847) – von Edgar Allan Poe

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Nüchtern’ Grau sich den Himmel erobert,
Alle Blätter rau, brüchig, entziert –
Alle Blätter schlicht welk und entziert;
Es war Nacht, es war einsam’ Oktober
In dem Jahr, das mein Geist gern verliert;
An den trüben Gewässern von Auber,
In der nebligen Gegend von Weir –
An dem feuchtkalten Bergsee von Auber,
In den ghoulischen Wäldern von Weir.

Hier durchschritt ich titanisch’ Passage
Aus Zypressen: Mein Herz in mir stieß –
Meine Psyche, mein Herz, in mir stieß.
Meine Brust voll vulkanischer Rage,
Wie die Schlacke, wenn sie sich ergießt –
Unermüdliche Lava, die fließt;
Wenn durch Yaaneks verschwefelt’ Drainage
In den arktisch’ Gefilden sie sprießt –
Wie sie fließt am Berg Yaanek voll Rage,
Wenn im äußersten Norden sie sprießt.

Ernstes Wort unser Herz sich erobert,
Mit Gemütern gelähmt und entziert –
Mit Gedächtnissen tückisch entziert –
Denn wir dachten, es sei nicht Oktober,
Es sei nicht diese Nacht, die passiert –
(Ah, die Nacht aller Nächte passiert!)
Nicht gewahr der Gewässer von Auber –
(So als wären wir hier nie spaziert) –
Längst vergessen den Bergsee von Auber
Und die ghoulischen Wälder von Weir.

Als mit schwindender Nacht, unerwartet,
Hin zum Morgen die Sternenuhr drang –
Als der Morgen die Sterne durchdrang –
Aus der Wässrigkeit unseres Pfades
Ein vernebelter Schimmer entsprang,
Dann ein Halbmond, gar seltsam geartet,
Mit zwei gleichförmig’ Hörnern daran –
Diamantene Sichel Astartes,
Unverkennbar mit Hörnern daran.

Und ich sprach – „Wie Diana, nur milder:
Durch vertröstenden Äther sie schwebt –
Durch vertröstend’ Gefilde sie schwebt:
Hat geseh’n, dass die Tränen nichts stillte,
Wo auf Wangen Gewürm ewig lebt,
Kam vom Löwen, dem Sternengebilde,
Uns zu weisen zum Himmel den Weg –
Hin zum Lethenen Frieden den Weg –
Ohne Furcht vor des Löwen Gefilde,
Ihren Augenschein sie auf uns legt –
Kam zu uns durch des Löwen Gefilde,
Ihre Augen mit Liebe belegt.“

Meine Psyche, mich dringlich ermahnend,
Sprach – „Ich kann diesem Stern nicht vertrau’n –
Ihrer seltsamen Blässe nicht trau’n: –
Lass’ uns eilen! oh, lass’ uns nicht lahmen!
Lass’ uns fliegen! – sie nicht mehr beschau’n.“
In Entsetzen sie sprach, niederkamen
Ihre Flügel, im Dreck trieb ihr Saum –
Sie erschluchzte, in Qual niederkamen
Ihre Federn, im Dreck trieb ihr Saum –
Bis im Dreck war verkümmert ihr Saum.

Ich erwiderte – „Psyche, Du träumst nur:
Lass’ uns schreiten ins flackernde Licht!
Auf zum Bad ins kristallene Licht!
Sein Sybillener Glanz ist gesäumt nur
Von der Hoffnung und Schönheit, sonst nichts: –
Schau! – im Nachthimmel schimmernd sich’s bricht!
Ah, sie ist ein erleuchteter Freund nur;
In die Irre führ’n wird sie uns nicht –
Sie ist uns ein erleuchteter Freund nur;
In die Irre führ’n kann sie uns nicht,
Denn ihr Schimmer im Himmel sich bricht.“

So beruhigte ich Psyche, liebkosend,
Und bestritt ihr trübseliges Tun –
All’ Bedenken und trübselig’ Tun:
Doch aufs Ende des Pfades gestoßen,
Sah’n ein Grab wir direkt vor uns ruh’n –
Ein umwobenes Grab vor uns ruh’n;
Und ich sprach – „Schwester, was ist hier los und
Sprich, was hat es mit uns nur zu tun?“
Sie las vor – „Ulalum’ – Ulalum’ –
Ist das Grab Deiner lieb’ Ulalum’!“

Nüchtern’ Grau sich mein Herz nun erobert,
Wie die Blätter rau, brüchig, entziert –
Wie die Blätter schlicht welk und entziert,
Und ich schrie – „Es war sicher Oktober,
Gleicher Nacht letzten Jahres passiert,
Dass ich wandelte – wandelte hier –
Brachte furchtbare Bürde mit mir –
In der Nacht aller Nächte mit mir,
Oh, welch Dämon verführte mich hier?
Hier am trüben Gewässer von Auber –
Dieser nebligen Gegend von Weir –
Hier am feuchtkalten Bergsee von Auber –
Diesen ghoulischen Wäldern von Weir.“

Und so sprachen wir beide – „Ah, kann denn
Es nicht sein, dass die Ghoule des Walds –
Die barmherzigen Ghoule das Walds –
Um den Weg zu versperr’n und zu bannen
Das Geheimnis am Ort, wo es weilt –
Das Verborgene dort, wo es weilt –
Planetarischen Geist zu uns sandten
Aus dem Limbus, wo Mondseelschaft wallt –
Planetarisches Funkeln uns sandten
Aus der Hölle, wo Sternseelschaft wallt?“

Die Gunst der Nacht

Im Original: “Benediction” – von Andrew Francis Lockhart – aus: The Conservative, Vol. II, No. I (1916)

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Versunkener Sonne verweilendes Licht
Taucht die gräulichen Hügel in goldenen Schein;
In der Abendstund’ perlenversehrtes Gesicht
Schwingt ein Seetaucher sich unbehelligt hinein.

Tiefe Schatten umgarnen behüteten Teich,
Und der Sumpf liegt verborgen in Schleiern aus Dunst,
Welcher aufsteigt und fällt über Wildgräsern weich,
Phantomsegeln gleichend, in schwebender Gunst.

Ein strahlender Stern klärt die Falten der Nacht;
Durch verwachsenes Dickicht am Teichuferrand
Drängt ein flackerndes Leuchten von purpurner Pracht,
Von entlegener Hüttentür vorwärts gesandt.

Der Tag ist vorüber, und über die Welt
Bricht sanft eine sinnliche Stille herein,
Jedes Menschenkind streichelnder Frieden befällt,
So in Bauerngehöft wie in Edelmanns Heim.

Versunken in Carcosa

Im Original: Cassilda’s Song – aus: The King in Yellow (1895) – von Robert W. Chambers

 – aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Mit Wolkenwall das Ufer ringt,
Der Zwiestern hinterm See versinkt:
Gestreckte Schatten
In Carcosa.

In Schwarzgestirn die Nacht sich hüllt,
Mit Mondtanz sich der Himmel füllt,
Noch wundersamer
Ist Carcosa.

Hyadenlieder, noch so schön,
Dort wo des Königs Lumpen weh’n,
Verstummen sie in
Trüb’ Carcosa.

Lied meiner Seele, stimmentot,
Verende unter Tränennot,
Versunken seist Du
In Carcosa.

Woher kein Reisender mehr wiederkehrt

Der Daseinsmonolog des Hamlet – First Folio (1623) – von William Shakespeare

 – aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Dasein oder Nichtmehrsein, das ist die Frage;
Was wohl edler’n Eindruck macht: Der Habgier Schlinge
Und des unverschämten Reichtums Pfeil erleiden
Oder mit den Waffen in ein Meer aus Qualen,
Um sie auszumerzen, schreiten: Sterben, Schlafen
Und sonst nichts; und schließlich mit dem Schlaf besiegen:
Herzensschmerz und tausendfach’ Erschütterungen,
Derer sich ein Leibe qlt? Vollendung ist es,
Nach der Jeder sehnlich strebt. Nach Sterben, Schlafen;
Schlaf ist die Gelegenheit zum Traum: Das ist es;
Was in diesem Todesschlaf an Träumen käme,
Wenn die Wirrungen der Sterblichkeit wir lösten,
Muss uns Einhalt geben. Liegt nicht darin jener
Grund des Unglücks eines hohen Lebensalters:
Denn wer nähme hin des Lebens Spott und Peitschen,
Unterdrückung und der armen Menschen Schmähung,
Schmerz verfehlter Liebe und des Rechts Verschleppung,
Unverfrorenheit der Ämter und Verachtung
Jener nur mit schlichtem Fleiß erbrachter Taten,
Wenn sich Todesstöße einfach setzen ließen
Mit der schlichten Nadel? Warum Bündel tragen,
Keuchend, schwitzend und des Lebens überdrüssig;
Eigentlich doch nur aus Furcht vor Jenseitsfragen,
Dass das ferne, unentdeckte Land, woher kein
Reisender mehr wiederkehrt, den Geist uns martert
Und uns lieber lässt bekannte Qual erleiden
Statt hinein in ungewisse Sphären schreiten.
Dies’ Gewissen mehrt die Feigheit in uns allen,
Lässt die reich gefärbte Urgewalt der Tatkraft
Siechen in der Bleiche des Gedankentreibens,
Unternehmungen mit größtem Schwung im Marke
Dementsprechend aus der Schaffensbahn geraten
Und verlieren jeden Drang. Erbarm’ Dich meiner,
Liebliche Ophelia? – Nymphe, Dein Gebet soll
Jeder meiner Sünden mahnen.

Wir singen Lovecraft

Die Miskatonic-Universität

Heute haben wir ein kleines Schmankerl für Euch! Einer unserer Übersetzer*Innen, Stefan Zimmermann hat für Euch das wunderbare Trinklied aus HPL’s Geschichte “Das Grab” übersetzt. Vielen Dank an Stefan und viel Spaß Euch mit diesem feuchtfröhlichen Stück Lyrik.

View original post

Change of Shift

An Haiku-tale

 – by Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

She wakes up again –
The ammunition in reach …
The amulet, too –

She closes the door;
Runs to the elevator,
That never abides –

The lift door closes …
No floor is being chosen,
But it starts moving –

She closes her eyes;
Tight grip on the amulet …
She wakes up again –

The lift comes to rest;
Right between two stories! and:
The lift door opens –

Snowflakes are raging –
A cabin is illumined
By lambent candles –

In front of the hut:
Hunted prey; and the weapon:
Stands right beside it –

The hut door opens –
After all these years His gaze
Meets Hers; finally! –

She takes the rifle,
Loads it, aims, closes her eyes …
And pulls the trigger –

Seconds afterwards
Can nothing more be heard than:
His morning alarm –

He wakes up again –
The ammunition in reach …
The amulet, too …

Neptunwacht

Ein FHTAGN-Gedicht

– von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Zorn entbrennt im blauen Himmelsmeer:
Tag bricht an!
Unerbittlich wächst das Zahlenheer:
Nächtelang!

Ferner Stern schenkt Dir ein Fünkchen Glut:
Nimmst es an!
Gierst danach und stürmst doch wild vor Wut:
Lebenslang!

Flog hinaus in Deinen schroffen Schoß:
Hielt nie an!
Schmähte stets des Erdenlebens Los:
Forscherdrang!

Sah Dich wachsen, Tag um Stund’ und Jahr:
Sieh Dich an!
Gleichsam stolz und zart bist Du mir nah:
Minnesang!

Flieg doch auch hinaus und eile fort:
Bahn um Bahn!
Folge Dir in ferner Welten Hort:
Übergang …