Eine unheilvolle Brise

Im Original: “Song of the North Wind” – von Winifred Virginia Jordan – aus: The Conservative, Vol. I, No. IV (1916)

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Woher ich kam, wo einst ich schlief:
Geheim auf Ewigkeit,
Ob Himmelshöhe, Höllentief,
Ich mehre Euer Leid;
Doch kündet Ihr mich herrschaftlich –
Im Leuchtraketenschein –
Mit sanfter Brise künde ich:
Bald breche ich herein.

Geboren ward ich vor der Welt,
Alt, als sie mich empfang,
Ein Fremdling, aus dem All bestellt,
Mein Schrei war erster Sang:
Alt war ich, als Gedankenkraft
Aus Feuer ward befreit;
Mein eisig’ Hauch hat Land geschafft,
Als Spiel in leblos’ Zeit.

Als schwach sich Leben ihm entwand,
Hielt ich den Atem flach,
Und Berg und Fluss und Mensch entstand,
In Todes Brust erwacht;
Gen Erde fuhr’n mir aus der Haut
Der Wechselbälger drei:
Das Lustblut meiner lieblich’ Braut
Durchfließt sie maßlos, frei.

Der Nordstern ist mein Leuchtsignal,
Ich bin der Arktis Fürst,
Mein Atem wirbelt infernal,
Ich sing’ – der Berg zerbirst;
Endloser Ruhm mich lächelnd reizt
Und Segel eisern’ Schiffs;
Ich zürne, bis der Rumpf sich spreizt
Und quetscht in meinem Griff.

Verwüste gern fruchtbares Land
Schlag’ auf die Blüten ein,
Verderb’ die Ernte kurzerhand,
Ersticke sie im Keim;
Den Bäumen stehl’ ich Blatt und Ast,
Egal, wie ich geneigt,
Verderbnis werf’ mit größter Hast
Ich tausend Meilen weit.

Ich giere tobend nach dem Meer,
Ich stürme es mit Braus,
Auf Felsen streu’ ich Wracks umher,
Lass’ keine Küste aus;
Ich reiß’ am Deck und wirbel’ mich,
Sie schlagen Luken zu,
Erst spotte und dann labe ich –
Sie finden ewig’ Ruh’.

Woher ich kam, wo einst ich schlief:
Geheim auf Ewigkeit,
Ob Himmelshöhe, Höllentief,
Ich mehre Euer Leid;
Doch kündet Ihr mich herrschaftlich –
Im Leuchtraketenschein –
Mit sanfter Brise künde ich:
Bald breche ich herein.

Die Gunst der Nacht

Im Original: “Benediction” – von Andrew Francis Lockhart – aus: The Conservative, Vol. II, No. I (1916)

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Versunkener Sonne verweilendes Licht
Taucht die gräulichen Hügel in goldenen Schein;
In der Abendstund’ perlenversehrtes Gesicht
Schwingt ein Seetaucher sich unbehelligt hinein.

Tiefe Schatten umgarnen behüteten Teich,
Und der Sumpf liegt verborgen in Schleiern aus Dunst,
Welcher aufsteigt und fällt über Wildgräsern weich,
Phantomsegeln gleichend, in schwebender Gunst.

Ein strahlender Stern klärt die Falten der Nacht;
Durch verwachsenes Dickicht am Teichuferrand
Drängt ein flackerndes Leuchten von purpurner Pracht,
Von entlegener Hüttentür vorwärts gesandt.

Der Tag ist vorüber, und über die Welt
Bricht sanft eine sinnliche Stille herein,
Jedes Menschenkind streichelnder Frieden befällt,
So in Bauerngehöft wie in Edelmanns Heim.

Schlafes Schinder

Im Original: “Insomnia” – von Winifred Virginia Jordan – aus: The Conservative, Vol. II, No. III (1916)

– aus dem Englischen neuübersetzt von Stefan Zimmermann – Licensed under CC BY-NC 4.0

Ich bin, was in die Nacht einbricht,
Des Schlafes Flügel schert;
Ich bin, was tief durchs Tageslicht
Mit Hexenstichen fährt;
Ich bin, was mit Tranchierbesteck
Das müde Hirn traktiert
Und knurrt, wenn sich Vergnügen reckt
In meinem Schmerzrevier.

Ich lache gern: Haha! Hoho!
Wenn Stille liegt im Haus;
Ich zeche gern: Haha! Hoho!
Wenn Schäfchen schwärmen aus!
Mein Sklavenheer zählt hundertfach,
Bis Schatten Augen sticht!
Der Schäfchen Sprung zehntausendfach:
Auf dass die Zählung bricht!

Ihr Loblied ist ein Trauerzug,
Geschmückt mit Blumenkranz;
Sie tragen weißen Überzug,
Umringt von Schaulusttanz.
Sie wandeln über Angst und Glut,
Beengt in Schlafquartier’n;
Ihr Geist verflucht mit Schamesflut:
Gebet kann nur verlier’n.

Und dann greif ich zur List erneut,
Die mich mit Gold befleckt;
Ich werfe Hungersduft wie Streu
Auf blütenweiß’ Gedeck!
Erinnerung, die mir entsagt,
Die treib’ ich vor mir her,
Bis ihre Sphäre überragt
Ihr hassgetränktes Wehr.

Ein jeder Sklave lacht, „Haha!“
Und zählt die Schäfchen durch
Und klagt der Zahlen im Traktat
Durch Nacht, durch Tag, durch Furcht;
Es fleht um Ruh’ ein zitternd’ Mund,
Das Herz am Kreuze weht,
Bis wer sich traut, all’ Qual tut kund
Und Sterben wild erfleht!

ICH BIN, WAS IN DIE NACHT EINBRICHT,
DES SCHLAFES FLÜGEL SCHERT;
ICH BIN, WAS TIEF DURCHS TAGESLICHT
MIT HEXENSTICHEN FÄHRT;
ICH BIN, WAS MIT TRANCHIERBESTECK
DAS MÜDE HIRN TRAKTIERT
UND KNURRT, WENN SICH VERGNÜGEN RECKT
IN MEINEM SCHMERZREVIER.